5 Fragen an... Hon.-Prof. Mag. et Dr. iur. Janko Ferk

Richter des Landesgerichts Klagenfurt im Ruhestand, Honorarprofessor der Universität Klagenfurt und Schriftsteller

janko_ferk

FC: Martin Rauchenwald

1.    Ihre Verbindung zu Kärnten ist tief – sowohl sprachlich als auch kulturell. Welche Bedeutung hat es für Sie, in Kärnten aufgewachsen zu sein und welchen Bezug beziehungsweise Verbindung haben Sie zur Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee? 
Das zweisprachige Kärnten hat für jeden Menschen ein großes Erbe parat. Zwei Sprachen. Die sogenannte zweite muss man bewusst annehmen, das heißt auf gut Deutsch, man muss das Erbe antreten wollen. Nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zur Regelung der Ortstafelfrage wurde ein solcher Assimilationsdruck aufgebaut, dass viele Familien dieser unmenschlichen Gewalt gewichen sind. Die Politik hat für die Sprache nie etwas getan, aber einiges gegen sie. Zigtausende Kinder haben die weitere Sprache des Landes nicht mehr gelernt. Und bekannt ist, dass dieses missing link nicht mehr ersetzt werden kann. Wie soll eine Muttersprache, die man nicht lernen durfte, weitergegeben werden. Mag der Wille auch der beste sein …
Klagenfurt/Celovec ist wohl die wichtigste Stadt in meinem Leben. Zuerst war sie meine Bildungsmetropole, ich habe hier das Slowenische Gymnasium besucht, und nach meinem studentisch-akademischen Wien-Intermezzo ist es heute meine Arbeits- und Lebensstadt. Ich war Jahrzehnte Richter des Landesgerichts Klagenfurt, bin nach wie vor an der Universität Klagenfurt/Univerza v Celovcu tätig und habe hier zig Bücher in Deutsch und Slowenisch geschrieben. Was will eine Stadt mehr? 

2.    Im Zug Ihrer wissenschaftlichen Forschungen setzten Sie sich bekanntermaßen intensiv mit dem Werk Franz Kafkas auseinander. Wenn Kafka über Klagenfurt im übertragenen Sinn schreiben würde – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass seine Geschichten meist in surrealen Räumen spielen – würde er vermutlich nicht die sonnige Promenade am Wörthersee oder die Altstadtgassen romantisieren, sondern die unsichtbaren Mechanismen dahinter sezierend erkunden. Seine Feder würde das scheinbar Idyllische durch ein Brennglas der Absurdität und Melancholie betrachten. Folgendes Gedankenspiel: Wie würden die ersten zwei Zeilen dieses fiktiven Werks aus Ihrer Sicht lauten und was wäre wohl die Quintessenz des Texts?    
Klagenfurt lag vor mir wie ein Spiegel, der meine Ängste und Zweifel als Bilder zurückwarf, während der Wörthersee ruhig und unberührt daneben lag. Beides war das Sinnbild für die Unerreichbarkeit des Friedens und der Gerechtigkeit.
Anmerkung zur Quintessenz: Lieber Franz, entschuldige die Unerreichbarkeit Deiner Sprache wegen meiner Unzulänglichkeit!

3.    Mehr als vierzig Werke umfasst Ihr schriftstellerisches Schaffen, das von poetischer Lyrik über erzählerische Prosa bis hin zu sachkundigen Reisemonografien über den Alpen-Adria-Raum reicht. Sie publizierten juristische Beiträge und Buchrezensionen und waren als literarischer Übersetzer tätig. In Klagenfurt lehren Sie zudem seit vielen Jahren als Honorarprofessor an der Universität. Die Verbindung von juristischem Denken und literarischem Erzählen ist aber durchaus ungewöhnlich… Wie haben Sie diesen Spagat gemeistert, gibt es Synergien und inwiefern könnte eine erhöhte Sensibilität für Sprache das Rechtswesen bereichern?  
Das Recht und die Literatur sind ohne Sprache nicht vorstellbar. Die Sprache ist einerseits das „Mundwerkszeug des Juristen“ und andererseits ein Machtmittel. Dasselbe gilt für den Schriftsteller. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn sich unter den Juristen Dichter finden. Die Literatur, das Recht und die Sprache gehen seit jeher eine Verbindung ein, die fruchtbar, aber auch furchtbar sein kann. Meine Arbeit ist immer die fruchtbare Variante von Literatur und Recht. In diesem Sinn bin ich ein Dichterjurist.
Anders gesagt: Die schriftlich fixierte Sprache ist das Medium sowohl der Literatur als auch des Rechts. Sie ist ein zentraler Gegenstand der Arbeit des Juristen, der während seines gesamten Berufslebens mit Wörtern, Sätzen und Schriften konfrontiert ist. Zeit seines Lebens setzt er sich mit bestimmten Sprachprodukten auseinander und hat zwischen ihnen Verbindungen herzustellen. 
Der Autor und Jurist stehen gleichsam in einem Zielkonflikt, zumal das Recht normative Grenzen zu ziehen bestrebt ist, die die Literatur – als Kunst – wohl andauernd zu überschreiten versucht.

4.    Wie haben Sie den Spagat zwischen juristischer Objektivität und persönlicher Haltung erlebt beziehungsweise gelebt und was würden Sie jungen Juristinnen und Juristen mitgeben, die zuweilen zwischen Paragraphen und Menschlichkeit balancieren müssen?
Die Antwort ist eindeutig und leicht: Ich habe immer zwischen Herzens- und Zivilberuf streng getrennt. Der Schriftsteller hat nie forensische Versatzstücke verarbeitet, der Richter hat jedoch von der Sprachkunst des Dichters profitiert. 
Einem jungen Juristen sage ich immer eines: Bei der Arbeit stets den Hausverstand einschalten und nie vergessen, dass man im Angesicht des Rechts auch gerecht sein kann.   

5.    Abschließend: Kann aus Ihrer Sicht die Literatur über Gerechtigkeit mehr sagen, als es das Recht selbst vermag – man denke an die Reflexion moralischer Überzeugungen und an die Grenzen beziehungsweise Grauzonen des Rechts – und was wünschen Sie sich von der nächsten Generation literarischer Stimmen?
Die abschließende Antwort muss ob der Schönheit der Frage etwas länger ausfallen und müssen die Ränder ausfransen.
Schon allein die deutschsprachige Literatur kennt prominente Beispiele, die sich mit Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Recht und Unrecht sowie Schuld und Unschuld befassen. Das exemplarischste Beispiel ist das Romanfragment „Der Prozess“ von Franz Kafka.
Fragen nach Herrschaft und Recht, Verbrechen und Schuld sind in den Dichtungen der letzten Jahrhunderte, vor und nach Kafka, ständig präsent oder über weite Strecken zentrales Thema einiger Dichterjuristen. Es werden nicht nur Taten beschrieben, sondern auch Gerechtigkeiten und Ungerechtigkeiten erörtert. 
Weniger bekannt ist schon, dass Rechtsfragen von großer Bedeutung in der Literatur diskutiert worden sind und werden, so in Schillers Dramen. Seine „Räuber“ und „Fiesko“ bewegen sich zwischen Anarchie und Usurpation oszillierend. Kafka behauptet, Gerechtigkeit gebe es nicht, und ich schließe mich diesem Verdikt, natürlich ohne überheblich sein zu wollen, ausdrücklich an. Und Schlink, um einen zeitgenössischen Dichterjuristen zu erwähnen, ist bemüht, die RAF, das bundesdeutsche Trauma, aufzuarbeiten. 
In diesen Spannungsbogen gehören auch Eichendorff, E. T. A. Hoffmann mit seinem „Fräulein von Scuderi“ oder Kleist mit dem „Zerbrochenen Krug“ sowie „Michael Kohlhaas“. 
In der benachbarten slowenischen Literatur haben einige Werke Ivan Cankars einen rechtlichen Bezug. Er thematisiert Gerechtigkeitsfragen unterprivilegierter Knechte und Kleinbauern. Der so genannte größte slowenische Schriftsteller, France Prešeren, ist ohnehin Dichterjurist. 
Zum Verständnis seien noch weitere Beispiele aus der Literatur(geschichte) erwähnt: Arthur Schnitzler mit der interessanten „Frau des Richters“, selbstredend Heinrich Böll mit der RAF-Novelle „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, die verfilmt wurde. 
Im 20. Jahrhundert haben Franz Kafka und Peter Handke jeweils einen tektonisch anmutenden Ruck der deutschen Sprache verursacht. Die nächste Generation hat die Aufgabe, das Manifest der sechsundzwanzig Buchstaben neu zu formulieren.  

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